Mit großer Betroffenheit haben wir erfahren, dass der Heilbronner Glaskünstler Raphael Seitz am 26. Februar 2015 plötzlich und unerwartet im Alter von 57 Jahren verstorben ist.
Nur wenige Tage zuvor hatte Papst Franziskus im Rahmen einer Privat-Audienz eine Arbeit von Raphael Seitz gesegnet – das Ökumene-Kreuz für die katholische Kirche Argentiniens, das der Künstler selbst der argentinischen Bischofskonferenz in Buenos Aires übergeben wollte. International bekannt wurde er vor allem durch seine Arbeiten für Kirchen in Deutschland, Großbritannien, Italien und Argentinien.
Raphael Seitz, geboren 1957, studierte Malerei und Glasgestaltung sowie Kunstgeschichte. Von 1981 bis 1988 war er Stipendiat des Cusanuswerks. Mit seinem Projekt „Licht der Welt“ war er zudem 2011 Finalist des Cusanus-Preises, der für besonderes gesellschaftliches Engagement verliehen wird. Er erarbeitete eine künstlerisch gestaltete Solaranlage für die katholische Kirche in Horb-Mühlen; die erwirtschafteten Einnahmen kommen dem Partnerprojekt „Aktion Lichtbox“ zugute: 100 Krankenstationen in Ghana, die ohne Stromanschluss sind, werden mit Solar-Lichtboxen ausgestattet.
Wir trauern um Raphael Seitz und werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.
Annette Schavan, Botschafterin der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl, hielt nach dem Requiem am 9. März 2015 im Deutschordensmünster St. Peter und Paul in Heilbronn folgenden Nachruf auf Raphael Seitz:
Aschermittwoch in Rom
Es war ein strahlender Tag.
Die Sonne wärmte bereits so, dass wir im Garten der Botschaft sitzen konnten. Raphael Seitz tat das, was für ihn typisch ist: er prüfte den Garten ob seiner Tauglichkeit für eine Ausstellung. Sie sollte im Sommer 2016 sein. Nach kurzer Zeit kam er mit seinem Skizzenbuch und erklärte mir seinen Vorschlag. Glasstehlen sollten aufgestellt werden und den Garten in einen Lichtraum verwandeln.
Zuvor waren wir Papst Franziskus begegnet. Raphael präsentierte ihm sein Ökumenekreuz für Argentinien. Der Papst strahlte, als er das Kreuz sah und Raphael Seitz strahlte, als sie sich herzlich begrüßten. Raphael erklärte dem Papst sein Ökumenekreuz so, wie er vielen von uns beschrieben hat, was Licht und Farbe für ihn und für unser Leben bedeuten. Er sprach vom Licht, das immer wieder die Kraft der Farben freigibt; vom Licht, in dem Gott in dieser Welt aufscheint. Zur Frömmigkeit von Raphael Seitz gehörte, dass er in der Kraft des Lichtes und im Spiel der Farben die Nähe Gottes zum Menschen erkannte. Er war fasziniert von seiner Arbeit mit dem Glas, das nicht gefangen hält: nicht das Licht, nicht die Farbe und nicht den Blick der Betrachter; vom Glas, das Bewegungen entstehen lässt, im Spiel des Lichtes mit dem Raum und mit den Farben; Bewegungen, die immer neu Licht und Farbe freigeben und neue Räume schaffen.
Das Ökumenekreuz wollte er zu Ostern nach Argentinien bringen und dort Basisgemeinden übergeben – in der Heimat von Papst Franziskus, der das Kreuz segnete und sich an den Farben freute. „Gut gemacht“ sagte er auf Deutsch. Später war das Kreuz bei der Generalaudienz auf dem Petersplatz zu sehen. Strahlend in der Sonne am vielbeschriebenen stahlblauen römischen Winterhimmel.
Lichträume schaffen
Raphael Seitz war ein Künstler, der viele öffentliche Räume gestaltet hat – profane und kirchliche Räume. Er ließ sie in neuem Licht erscheinen. Er war ein Mensch mit einem ausgeprägten Interesse am Öffentlichen. Er wollte Verbindungen schaffen – zwischen Kunst und Gesellschaft, zwischen Glauben und Leben und solche, die den Glauben im öffentlichen Raum präsent machen. In der Sprache des Lichtes und der Farben sollten Menschen einen Zugang zu Gott finden. Ein Mensch, der so dezidiert vom Licht spricht und dem Licht auf immer neue Weise Raum schafft, weiß um die Fragilität des Lebens und die Zeiten der Dunkelheit im Leben des Menschen. Gerade deshalb, weil das Leben so verletzlich ist, weil auch Dunkelheit menschliches Leben prägt, deshalb war ihm keine Anstrengung zu viel, Licht zu gestalten und Lichträume zu schaffen. Er sagte: „Mein Lichtraum möchte den Menschen annehmen und möchte ihn in seinen unterschiedlichen Zuständen und Stimmungen ansprechen.“
Von seinen beiden Lehrern hat Raphael Seitz wichtige Impulse erhalten: von Gottfried von Stockhausen das Interesse am Phänomen der Farbräumlichkeit, das in ihm das Interesse am Farbglas und an der Bedeutung der durchleuchteten Farben geweckt hat. Von Ludwig Schaffrath hat er viel gelernt im Blick auf die Grammatik für eine Mitsprache am Raum und das Interesse an der Gestaltung des öffentlichen Raumes.
Zu seiner spezifischen Weise der Glasgestaltung gehörte oft die Verknüpfung von gegenständlicher Malerei mit abstrakter Komposition. Dazu gehören seine Dialoge zwischen vertrauten Darstellungen von Grundbotschaften aus der Geschichte Gottes mit den Menschen und dem Zusammenspiel von Farbe und Linie, Bögen und Schnitten, kalten und wärmeren Tönungen. Das sind Dialoge von spürbarer Dichte, die sich öffnen für Empfindungen und Gedanken der Betrachter. So werden die Dialoge fortgesetzt. Wer betrachtet, wird selbst Teil der Geschichte und sollte die lebensspendende Kraft der Botschaft ebenso wie die ständigen Lebensgefährdungen spüren. Wie riskant menschliches Leben ist, das war seine Erfahrung. Wie sehr es auf Leben in Fülle angelegt ist, das war sein Glaube.
Lichtraum – das ist der konkrete Name für das Angebot, das Raphael Seitz mit seinen Arbeiten im Raum des Öffentlichen gemacht hat. Angesichts der vielen alltäglichen Versuchungen des Menschen, Verengungsgeschichten zu schreiben und die Spannbreite seiner Möglichkeiten weit zu unterschreiten, laden seine Lichträume dazu ein, die Enge zu überwinden, und menschliches Maß zu finden. Über dieses menschliche Maß hinaus soll der Mensch wachsen auf jene Transzendenz hin, zu der er als glaubender Mensch berufen ist.
Ein frommer und ein politischer Mensch
Raphael Seitz war ein frommer Mensch, der seinen Glauben in seiner Arbeit mitteilen wollte. Er hat eine ungewöhnliche Schaffenskraft entwickelt. Er ging an die Grenzen seiner Kraft. Er war ein eigensinniger Mensch, dem seine Eigenständigkeit viel bedeutete. Er war ein politischer Mensch, den das Interesse und die Liebe zum Öffentlichen anspornte. Und nicht zuletzt war er streitbar. Mit ihm zu streiten lohnte sich, weil es in der Sache weiterführte und er seine Standpunkte konsequent vertrat.
Raphael Seitz starb auf der Höhe seiner Schaffenskraft, die international Anerkennung gefunden hat. Er war Glaskünstler, Maler und Poet. Sein Umgang mit der Sprache war so virtuos wie sein Umgang mit dem Glas.
Er hatte viele Pläne, die nun nicht mehr umgesetzt werden. Seine Zuwendung zu Menschen und seine Fähigkeit zur Empathie werden so unvergessen bleiben wie seine Kunst – in dieser Stadt, in Baden-Württemberg, in Deutschland und in vielen Ländern.
Und ganz gewiss bleibt seine Botschaft: „Gott ist Licht“ sprechen seine Bilder in guter johanneischer Tradition „und Finsternis ist nicht in ihm“ (1 Joh 1,5).
Mögen die, die ihm nahe stehen, Spuren des Trostes in jenem Licht finden, von dem er so tief überzeugt war und das seinen Höhepunkt im Licht des Ostermorgens findet.