STIMMUNGEN: GEFÜHL MACHT POLITIK
Die Jahrestagung des Cusanuswerks 2018

Stimmungen scheinen immer mehr zum Erklärungsmuster für politische und ökonomische Entwicklungen wie auch für gesellschaftliche Tendenzen zu werden. Nicht selten dienen sie als Argument im Meinungskampf. Sie können, so die allgemeine Wahrnehmung, rasch wechseln und immense politische Folgen haben. Fast 800 Stipendiatinnen und Stipendiaten der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk und zahlreiche Expertinnen und Experten kamen in Geseke/Eringerfeld zusammen, um sich in Vorträgen und Workshops mit diesem Thema zu beschäftigen.

Studierende, promovierende und ehemalige Stipendiatinnen und Stipendiaten des Cusanuswerks sowie zahlreiche Gäste widmeten sich der Analyse eines Begriffs, der nicht allein Emotionen bezeichnet, sondern gerade auch Phänomene, die über den Einzelnen hinausweisen und insofern sozial, politisch, ökonomisch und kulturell wirksam werden. Stimmungen beeinflussen Wahlen und unterminieren Systeme, sind aber nur schwer präzise fassbar. Dieser Vielfalt der Erscheinungsformen trugen die Vorträge und Workshops Rechnung, die sich beispielsweise mit der Manipulierbarkeit von Meinungen in digitalen Welten, mit neuro-physiologischen Aspekten oder mit den Zusammenhängen von Stimmungen und wirtschaftlicher Konjunktur beschäftigten.

Festvortrag und Podiumsdiskussion mit prominenten Gästen

„Stimmungsmache! Zu Chancen und Risiken von ‚Stimmungen‘ als (sozial)wissenschaftlichem Konzept“: Die Historikerin Prof. Dr. Birgit Aschmann (Humboldt Universität zu Berlin) ging in ihrem Festvortrag von der Beobachtung aus, dass der Begriff „Stimmung“ gegenwärtig eine Renaissance erlebe, was irritierend wirke, weil er zunächst vage und ungenau sei. Anhand vieler historischer und aktueller Beispiele konnte sie ausloten, wie der Begriff im Wandel der Zeit verwendet wurde und welche Komponenten heute hilfreich sein können, um soziale Phänomene zu analysieren. Birgit Aschmann bettete das Konzept der Stimmungen in die Geschichte der Gefühle ein und fragte, welche politische Relevanz Stimmungen haben können. Dabei ging es vor allem um die Frage, welche Akteure dazu beitragen, Stimmungen „zu machen“, und welche Mechanismen zu ihrer Wirkmächtigkeit beitragen. Neben Beispielen aus der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts überzeugten besonders die Verweise auf die jüngste Vergangenheit der deutschen Geschichte sowie auf die spanische bzw. katalanische Gegenwart.

Die politische Dimension des Stimmungsbegriffs wurde auch in einem lebhaften Podiumsgespräch mit dem Titel „Gefühl Macht Politik“ diskutiert. Dabei konnten Cathrin Bengesser (Stipendiatin des Cusanuswerks), Andreas Glock (Altcusaner), Konstantin Kuhle MdB (Innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag), Boris Palmer (Oberbürgermeister der Stadt Tübingen, Bündnis 90 / Die Grünen) und der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Dr. h.c. Heinrich Oberreuter (Passau) einerseits Erfahrungen aus der politischen Praxis und andererseits wissenschaftliche Analysen und theoretische Konzepte miteinander in den Dialog bringen.

11 Foren zu zahlreichen Facetten des Themas

Die 'Stimmung an der Börse', die 'Stimmung im Stadion': Damit ist die Bandbreite der insgesamt elf Foren angedeutet, in denen das Phänomen 'Stimmungen' – teilweise mit sehr aktuellen Bezügen – erkundet wurde. Namhafte Experten aus Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft berichteten von ihren Erfahrungen und stellten Theorien und Forschungsergebnisse vor. Michael Kunert, der Geschäftsführer von infratest dimap, diskutierte die Rolle von Umfragen in einem von Stimmungen beherrschten Meinungsmarkt. Der Filmmusik-Forscher Prof. Peter Moormann, Köln, hatte den mehrfach preisgekrönten Filmmusik-Komponisten Oli Biehler als Gesprächspartner mitgebracht und behandelte Musik im Film als Stimmungselement. Und Prof. Roland Döhrn vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Essen, führender Experte in Fragen der Konjunktur- und Wachstumsforschung, analysierte eindrücklich das Phänomen 'Stimmung in der Wirtschaft'. Stimmungen in den sozialen Medien, in der Literatur, in der Musikproduktion wurden analysiert, und für weitere Bereiche waren Expertinnen und Experten aus Psychologie, Neurowissenschaften, Soziologie und Philosophie eingeladen. Nicht zuletzt gab es auch ein Forum zum Thema 'Stimmung' in Liturgie und Gottesdienst. Lebhafte Debatten und kreative Gespräche waren wie immer charakteristisch für die intellektuelle Atmosphäre bei der Jahrestagung im Cusanuswerk.

Festgottesdienst am Sonntag

Zum Abschluss des Wochenendes kamen alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu einem Festgottesdienst zusammen, der von Weihbischof Dr. Christoph Hegge, dem Beauftragten der Deutschen Bischofskonferenz für das Cusanuswerk, zelebriert wurde. In seiner Predigt nahm er Bezug auf das Thema der Jahrestagung, indem er eindrücklich betonte, dass Gott aus eigener Initiative auf den Menschen zukomme und dabei keine vage Stimmung erzeuge, sondern in unsere menschliche Existenz eingreife. Als Mensch provoziere der Gottessohn, dass wir uns angesichts seines Lebens- und Liebeszeugnisses positionieren und eine Haltung einnehmen, die unsere ganze Existenz betrifft: „Christlicher Glaube an den dreifaltigen Gott ist daher nicht eine Stimmung, sondern eine Lebenshaltung, eine tiefe existentielle Selbsterkenntnis aus Entdeckung und Begegnung des auferstandenen Christus, der uns in das dreifaltige Leben Gottes hineinzieht.“ Dies bedeute auch, dass man sich des dreifaltigen Gottes nicht „bemächtigen“ könne: „Wir können ihn letztlich nicht durch unsere subjektiven Stimmungen oder politischen Interessen vereinnahmen, denn Jesus Christus und seine Botschaft des Evangeliums entlarven uns früher oder später immer wieder, weil es eine Botschaft der absoluten Liebe zum Nächsten, eine Botschaft des Friedens und der Vergebung, eine Botschaft sich hingebender, verschenkender Liebe ist.“

Neben den Vorträgen und Diskussionen bot das Jahrestreffen zahlreiche Gelegenheiten zur Begegnung und zum Austausch über die vielfältigen Aktivitäten, mit denen Stipendiaten und Ehemalige wichtige Akzente in Kirche und Gesellschaft setzen.

Unser herzlicher Dank gilt der Evonik-Stiftung, die unsere Jahrestagung mit einer sehr großzügigen Spende unterstützt hat.
 

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