Einheit in Vielfalt. Zum Miteinander in unserer Gesellschaft
Jahrestagung des Cusanuswerks 2021

Mehr als 1.800 aktuelle und ehemalige Stipendiatinnen und Stipendiaten der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk sowie zahlreiche Gäste aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Kirche, Kultur und Medien haben sich an diesem Wochenende (28./29./30. Mai 2021) mit Fragen zu Miteinander und Zusammenhalt in der Gesellschaft auseinandergesetzt. Anlass war die Jahrestagung des Cusanuswerkes.

Teildigitale Jahrestagung 2021: „Einheit in Vielfalt“

Einheit in Vielfalt, eine Leitidee der Europäischen Union, ist ein wiederkehrendes Motiv im Denken des Nicolaus Cusanus. In modernen Gesellschaften nimmt die Vielfalt an Lebensentwürfen zu. Das, was lange Zeit Einheit zu stiften vermochte – etwa verbindende historische Elemente oder gemeinsame religiöse Überzeugungen –, ist starken Fliehkräften ausgesetzt. In Zeiten des Umbruchs wachsen die Verunsicherung und auch die Gereiztheit.

Vor diesem Hintergrund wurden Möglichkeiten diskutiert, wie der gesellschaftliche Zusammenhalt und eine produktive Debattenkultur gefördert werden können. Selbst unter den Gegebenheiten des Kampfes für eine offene und pluralistische Gesellschaft werde mitunter statt auf Dialog auf Stigmatisierung und Ausgrenzung, Ressentiments und Diskreditierung gesetzt: „Demokratie braucht Vielfalt, eine Vielfalt, die diesen Namen verdient. Sie braucht Impulse zur inhaltlichen Differenzierung und zu werteorientiertem Handeln von Menschen in Schlüsselpositionen. Auch unter den Stipendiatinnen und Stipendiaten soll es eine echte Vielfalt an Meinungen, eine Konkurrenz unterschiedlicher Positionen geben, durch welche Diskurs- und Urteilsvermögen wachsen können“, sagte der Leiter des Cusanuswerks, Prof. Dr. Georg Braungart. Der Generalsekretär des Cusanuswerkes, Dr. Thomas Scheidtweiler, fügte hinzu: „Das Cusanuswerk soll ein Erprobungsraum sein für Einheit in Vielfalt. Wir fördern besonders begabte und engagierte junge Menschen. Wo, wenn nicht hier, muss es gelingen, Lagerdenken und Vorverurteilungen überwinden zu lernen, die Zumutungen widerstrebender Meinungen und Mehrdeutigkeiten auszuhalten, ohne Denk- und Sprechverbote zu diskutieren, einander zuzuhören und anzunehmen, dass der andere auch Recht haben könnte. Die Gesellschaft und die Kirche brauchen Menschen, die Brücken bauen und Versöhnung fördern.“

Die größte jährliche Veranstaltung der Begabtenförderung der katholischen Kirche in Deutschland fand als teildigitale Tagung mit Plenarveranstaltungen im Live-Stream und vielen dezentralen Events statt. Übertragen wurde die Tagung aus einer hierfür eingerichteten Sendezentrale in Berlin. An Hochschulstandorten überall in Deutschland fanden sich kleinere Gruppen aus Geförderten und Ehemaligen zusammen, die gemeinsam digital am Tagungsprogramm teilnahmen.

Prominente Redner debattieren über Zusammenhalt und Miteinander

In einem Impulsvortrag gab der Soziologe Prof. Dr. Armin Nassehi, LMU München, Einblicke in den Stand der Forschung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt: „Es gibt nichts Integrierenderes als einen gut ausgebauten Konflikt. Gesellschaften mit sehr starkem Zusammenhalt und starken Anforderungen an Einheit sind oft autoritäre Gesellschaften, in denen wir alle nicht leben wollen. Entscheidend ist, dass wir Konflikte zivilisiert austragen.“

Daran schloss sich eine Podiumsdiskussion mit P. Max Cappabianca OP (Hochschulpfarrer und Journalist), Prof. Dr. Nicole Deitelhoff (Sprecherin des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt) und Jan Fleischhauer (Publizist) an. Sie wurde moderiert von der Wirtschaftsjournalistin Dr. Ursula Weidenfeld und der Cusanus-Stipendiatin Nicola Trenz. In acht parallelen Workshops wurde das thematische Panorama weiter aufgefächert. Hier ging es unter anderem um die Rolle der Medien bei der Frage gesellschaftlichen Zusammenhalts, Meinungs- und Debattenkultur oder das gesellschaftliche Miteinander in der Klimadebatte.

Den Festvortrag hielt der ehemalige Bundespräsident Dr. h.c. Joachim Gauck, der in Anlehnung an sein Buch „Toleranz: einfach schwer“ der Frage nachging, wie die Tugend der Toleranz das friedliche Zusammenleben überhaupt erst ermöglicht. „Toleranz ist eine zivilisatorische Leistung und ein Gebot der politischen Vernunft. Toleranz bedeutet, das Anderssein des Anderen ertragen lernen – gerade das auszuhalten, was mich stört. Toleranz schließt den Streit nicht aus. Toleranz bedeutet, den Andersdenkenden ernst zu nehmen und ihn mit der Kraft des Arguments zu überzeugen, nicht dessen Meinungsfreiheit dirigistisch einzuengen. In einem von Toleranz geprägten weiten Debattenraum entwickeln sich Lösungen, die von Mehrheiten getragen werden und auch den Bedenken von Minderheiten und Skeptikern Rechnung tragen“, so der Altbundespräsident.

Annette Schavan, Bundesministerin a.D., ehemalige Botschafterin beim Heiligen Stuhl sowie ehemalige Leiterin des Cusanuswerks, sprach auf der Generalversammlung der Altcusanerinnen und Altcusaner, die während der Jahrestagung stattfand, über Konzepte für eine nachpandemische Zukunft. Zur aktuellen gesellschaftlichen Lage sagte sie: „Die Zeit der Pandemie deckt vieles auf, das sich nun nicht mehr leugnen lässt. Sie provoziert Veränderungen schneller, als wir dachten. Überhaupt beschäftigen uns die Provokationen besonders.“

Festgottesdienst

Zum feierlichen Abschluss des Wochenendes wurde aus Luxemburg der Festgottesdienst übertragen, den der Erzbischof von Luxemburg, Jean-Claude Kardinal Hollerich SJ, und Weihbischof Dr. Christoph Hegge, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für das Cusanuswerk, gemeinsam feierten. Am Ende der Predigt rief er die Cusanerinnen und Cusaner auf: „Sie sind Menschen voller Energie und Tatendrang. Werden Sie Förderinnen und Förderer von Einheit, aber auch von Vielfalt, in Kirche und Gesellschaft. Hierfür braucht es vor allem eine Haltung der Ehrfurcht – Ehrfurcht vor der Besonderheit des anderen.“

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