Ein kollektiver Lernprozess
Podiumsdiskussion: "Innovation und demokratische Legitimation - ein Widerspruch?"

Berlin. Entscheidungsprozessen im Bereich der Ethik müsse immer ein kollektiver Lernprozess von Politik und Öffentlichkeit vorangehen. Dazu riet die Vorsitzende des Nationalen Ethikrates, Kristiane Weber-Hassemer, am Donnerstagabend in Berlin auf einer Podiumsdiskussion zum Thema "Innovation und demokratische Legitimation - ein Widerspruch?", veranstaltet von der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk und der Katholischen Akademie.Dem Ethikrat komme die Rolle eines Mittlers zu, der Expertenwissen zusammentrage und aufbereite und gleichzeitig Hilfestellungen bei der ethischen Einschätzung gebe, so Weber-Hassemer. Wenn Politik und Öffentlichkeit darauf zurückgriffen, könnten rein intuitive und daher meist wenig hilfreiche Werturteile verhindert werden.

Zusammen mit der Vorsitzenden des Nationalen Ethikrates debattierten die Grünen-Politikerin Christa Nickels, der Vorstandvorsitzende der Berliner Charité Detlev Ganten, ebenfalls Mitglied im Ethikrat, sowie der Bielefelder Jurist und Soziologie-Professor Alfons Bora. Josef Wohlmuth, Leiter des Cusanuswerkes, hatte der Diskussion mit Blick auf die Reichspogromnacht am 9. November 1938 den Appell vorausgeschickt: "Dieser Jahrestag muss immer wieder eine unüberhörbare Mahnung sein, was Menschen, die sich damals als politische Elite verstanden, verbrochen haben." Nie dürften Eliten vergessen, welche Verantwortung sie für die Gesellschaft trügen. Etwa 130 Besucher verfolgten die zweistündige Podiumsdiskussion in der Katholischen Akademie.

Weber-Hassemer warnte vor Vorurteilen gegenüber dem Ethikrat. Weder wolle er Übergriffe auf die privaten Moralvorstellungen des einzelnen machen, noch wolle er die Entscheidungskompetenz der Politik beschneiden. Christa Nickels bekräftigte, dass nach ihrer Erfahrung Politikberatung durch Expertengremien sehr erfolgreich sei. Dem liege aber immer die Unabhängigkeit der Fachleute zugrunde. Und Unabhängigkeit müsse dann auch für die Politiker gelten, wenn es etwa um Gesetz im Bereich der Bioethik gehe. "Bei solchen Abstimmungen darf es keinen Fraktionszwang geben", unterstrich Nickels, die auch seit 2001 Mitglied im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ist.

Der Vorstandsvorsitzende der Charité, Ganten, warb dafür, Kinder möglichst früh an wissenschaftliches Denken heranzuführen. Das meine, Neugier und kritisches Denken zu belohnen. "Kritisches Misstrauen ist höchst wichtig in der heutigen Gesellschaft", sagte Ganten. Es dürfe kein blindes Vertrauen geben - weder gegenüber der Politik, noch gegenüber der Wissenschaft. Nickels Plädoyer, aus diesem Grunde die wissenschaftliche Forschung einer strengen Regulierung und Grenzsetzung durch die Politik zu unterziehen, stand Ganten jedoch skeptisch gegenüber. Generell seien internationale Standards, insbesondere auch ethische, wünschenswert und notwendig. Und dabei dürfe auf keinen Fall nur der kleinste gemeinsame Nenner ausschlaggebend sein. Aber der Politik stehe es nur bedingt zu, in die Wissenschaft einzugreifen.

Das ergänzte der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Wolfgang Thierse, durch seinen Hinweis, dass die demokratische Legitimation stets hinter Innovation hinterherhinke. Dennoch müsse die Politik aber auf Neuerungen reagieren und sie regulieren.

Der Soziologe Bora konstatierte ein großes Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber politischen Entscheidungsträgern und deren Unabhängigkeit. Doch Vertrauen könne nicht einfach verordnet werden. Um jedoch die Bevölkerung in die Politik einzubinden, seien Formen wie Bürgerdialoge oder Konsenskonferenzen keineswegs geeignete Mittel. Meist blieben sie folgenlos und hinterließen bei den Beteiligten eine hohe Frustration. "Die Gesellschaft an sich lässt sich nicht beraten, sondern nur einzelne Gremien und Institutionen", bilanzierte Bora. Hier stünden die Eliten in der Verantwortung, durch ihr Handeln neues Vertrauen zu schaffen.

Die Podiumsdiskussion bildete den Auftakt zu einer dreitägigen Fachtagung zum Thema "Wer entscheidet, was neu ist? - Eliten und Innovation", bei der Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst und Politik sowie Stipendiaten des Cusanuswerkes über das Selbstverständnis von Eliten, ihre Bedeutung für Innovation und das Spannungsfeld von Ethik und Fortschritt diskutierten. Anlass für die Veranstaltung war das 50-jährige Bestehen des Cusanuswerkes in diesem Jahr.

Text & Foto: Karin Wollschläger

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